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von
Carolin S.

Kokel-Rock

Wenn mir Jemand im zarten Alter von vier Jahren gesagt hätte, dass ich mit den Musikern da vorne auf der Bühne – eine Band bestehend aus meinem Vater und seinen Kumpels – mal selber auftreten würde, hätte ich entweder laut losgelacht oder verlegen abgewunken. Ein Traum wäre wahr geworden!
Und heute wird er wahr!
Ich darf für den erkrankten Sänger eintreten und mit den musikalischen Vorbildern aus meinem Bekanntenkreis die Geburtstagsparty rocken, wie ich es mir damals nicht erträumt hätte. Stones, Joe Cocker, Brian Adams, The Box Tops – all die Lieblings-Songs meiner Kindheit, mit denen mich meine Eltern musikalisch erzogen haben, obwohl ich ein Kind der 1990er bin. Ich muss nicht mal Gitarre zupfen, auf Akkorde achten, Breaks richtig spielen und den Rhythmus mit der Bassdrum halten – einfach nur singen und die Töne treffen. Und das sollte ich wohl können. Bitte. Hoffentlich.
"Unchain My Heart" in einer "One Night Love Affair" im "Summer of Sixty-Nine" oder besser gesagt 2014.
Die Schießbude hinter mir hämmert mir den Rhythmus in den Brustkorb und die Bassline verleiht meinen weißen Converse-Chucks Tanzschuh-Qualitäten.
Plötzlich zieht ein kokeliger Geruch in meine Nase. Die Monitorbox vor mir knarzt.
Zack! Ist der Ton weg. Und mit ihm leider mein Gefühl, Tonlagen korrekt zu treffen. Verdammt!
Ich versuche das Unmögliche und probiere, meine Gesangsstimme über die PA-Anlage zu erahnen. Sehe ich da die ersten verzogenen Gesichter im Publikum?
Was tun was tun was tun?
Der Song ist zu Ende und ich mit ihm. Auch, wenn ich hier auf der Bühne vor gut hundertfünfzig Menschen stehe – ich bin wirklich keine Rampensau. Und deshalb fällt es mir verdammt schwer, mich an den Tonmischer über das Mikro zu wenden: "Ich glaube, meine Monitorbox ist kaputt."
Ein bisschen Gelächter, ein kleines Raunen, magnetisch angezogene Blicke und ein Tonmeister, der zur Bühne eilt, prüft und mit zahlreichen Schweißperlen auf der Stirn versucht, das Malheur zu beseitigen.
Stille in der Rockshow bedroht die Stimmung des Publikums. Zwar kann auf einer Geburtstagsparty niemand sein Geld zurück verlangen, doch der Wunsch nach einem gelungenen Abend ist immateriell.
Die Band spielt. Irgendwas. Instrumental. Bloß keine Stille.
Zwei drei Handgriffe und die Box funktioniert. Aufgeregt, gestresst, nervös – eine Liste von lauter mir gerade unbequemen Eigenschaften taumelt durch mein Hirn.
Show must go on!
Hitze im Kopf! Sehen bestimmt alle! Peinlich!
Ich will doch Profi sein! Ich bin umgeben von Profis! Färbt das nicht vielleicht bitte irgendwie ab?
Ein knackiges Gitarrenriff holt mich zurück auf die Bretter der Tatsachen.
"I Can"t Get No Satisfaction. And I try, yes I try!"
Und zack! Es funktioniert. Satisfaction is back again.
"Du hast ausgesehen wie Nico Päffgen", schmettert mir meine Freundin nach der Show entgegen und werde wieder rot.
Ein erstauntes "Woher kennst denn du die Songs so gut?" und "Saumäßig geile Interpretation!" folgen.
Ich. Hab"s. Geschafft.
Zumindest für diesen Abend.