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Online-Kurzgeschichten
Lesezeit: etwa 4 Minuten
von
Carolin S.

Reimemonster

Musikalische Früherziehung legte wohl den Grundstein für mein Rhythmusgefühl. Klanghölzchen, Tambourin, Handtrommel und Triangel – diese Instrumente begleiten mich seit meinem dritten Lebensjahr. Weiter ging"s mit Klavier, als ich sechs Jahre alt war.
Meine Schulfreunde spielten kein Instrument. Ehrlich. Ich war die einzige Schülerin in der Klasse, die ein Instrument lernte. Dafür waren die anderen Kinder up to date, was Musikcharts, Mini-Playback-Show und Bands aus Deutschland und über die Landesgrenzen hinaus betraf. Spice-Girls-Texte, Backstreet-Boys-Stimmen und Performances wurden sorgfältig studiert und bei selbst nachgestellten Mini-Playback-Shows vorgetragen. Ich konnte weder Englisch noch die Stimmen der einzelnen Sänger und Sängerinnen auseinanderhalten, sondern war froh, die einzelnen Namen zu kennen. Sporty Spice war klar, Baby Spice auch, aber was zum Teufel bedeutet Ginger und Posh? Schreibt man Brian nun mit A I oder I A? Und warum nennt sich Kevin Kev? Klingt doch bescheuert! Wofür steht AJ? Und ist dieser Song nun von den Backstreet Boys oder *NSYNC – warum schreibt man das so anders, als man es ausspricht?
Wen gab"s denn noch? Worlds Apart, Take That hatten sich mittlerweile aufgelöst, aber Five, Boyzone und Kotz in die Ecke dominierten die Bravo, die wir als Zweitklässler noch nicht lesen durften. Der Tigerenten Club war soeben vom Disney Club abgelöst worden und schaffte es gerade mal, meine Leidenschaft für"s Kinderfernsehen neben der Sendung mit der Maus zu erobern. Durch Live-Auftritte von Lou Bega und Konsorten war ich also ein klein wenig informiert, aber das war"s auch schon. Ich hatte Mühe, bei den Mädels aus meiner Klasse und unseren Nachmittagstreffen inklusive Mini-Playback-Show-Spielen mitzuhalten. Alle waren besser, talentierter und so weiter. Sagte ich ja schon.
Doch an einem Nachmittag reichte uns das simple Nachstellen nicht mehr. Wir wollten was Eigenes machen!
Weil die Mädels Englisch nur nachplappern, selbst aber noch nicht texten konnten, gründeten wir eine Band. Sie bestand exakt an diesem einen Nachmittag und keinen Tag länger, aber egal! Der Moment zählte! Und deutsche Sprache musste es schon sein. Reimen sollte sich der ganze Kram natürlich auch.
"Henni ist in Arne verknallt!" lachte Marie plötzlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen auf. Sie sah diese Tatsache als einen Grund dafür, ein Liebeslied zu schreiben.
"Sehr witzig", Henni tippte sich an die Stirn.
"Und wenn schon", lenkte Marie ein, "Leg doch einfach los! Aaarne, I loooove you!"
"Das ist "ne Melodie von den Spice Girls! Wir klauen nicht!" bestimmte Henni.
Und plötzlich brabbelte ich vor mich hin: "Arne Banane, so scharf wie Con Carne, haut voll in die Sahne, zu klug für"s Profane, schreib das auf die Fahne!"
Entgeistert sahen mich die Mädchen an.
"Tschuldigung", sagte ich kleinlaut.
"Ist dir das gerade eingefallen?" fragte Marie entsetzt und Henni boxte mir gegen die Schulter: "Wow! Du kannst voll gut reimen!"
Juhuu! Endlich etwas was ich gut kann!
Jetzt überkam mich der Flow und ich reimte einfach weiter. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Form des Raps Freestyle heißt.
"Wie machst du das?" fragte Henni voller Respekt.
Keine Ahnung. In meinem Kopf macht das irgendwie Sinn. Die Worte fließen und fügen sich, als wollen sie sich wie in der Musik zur richtigen Tonart auflösen und hinbiegen. Ich denke nicht. Ich höre einfach. Und reimen kann jeder. Egal, in welcher Sprache. Solange man nicht irgendwelche merkwürdigen Bandnamen wie INSINK buchstabieren und aussprechen muss.