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Online-Kurzgeschichten
Lesezeit: etwa 4 Minuten
von
Carolin S.

Taktgefühl

"Linus! Pass auf! Die Box!"
Doch zu spät. Linus stolpert über das noch nicht befestigte XLR-Kabel auf dem Fußboden und fällt. Der Monitorständer kippt und die drauf montierte Box stürzt auf Linus" Beine.
Martinshorn, Einweisung, fünf Wochen Bettruhe.
So hatte Linus sich sein Leben nicht vorgestellt. Er ist gerade mal 23 Jahre alt und soll den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen? Das kann nur ein Albtraum sein.
Lahme Beine. Als Schlagzeuger.
Es dauert gefühlte Jahre, bis Linus wieder mit seinen Jungs im Probenraum sitzt und bespricht, wie es nun weiter geht. Über den Köpfen der drei Jungs steht in visueller Animationsgrafik die Frage im Raum: Wie geht es jetzt weiter?
"Ersatz hätten wir schon", bemerkt der Sänger Casper etwas verlegen, "aber das ist ja nicht in unserem Sinne."
"Als ob", denkt sich Linus. Casper ist eine Rampensau. Der braucht die Show wie seine Venen das Blut und würde auch die Bandbesetzung ändern, wenn es sein muss.
In drei Wochen ist der Auftritt, der den Jungs einen Plattenvertrag einheimsen könnte. Als Rockband. Nicht als Akustik-Trio. Denn Gitarre spielen könnte Linus problemlos.
"Ich werde nicht im Rollstuhl auf die Bühne rollern!" bestimmt Linus konsequent.
"Vergiss doch mal deinen Stolz!" Johnny legt seine Gitarre jetzt energisch zur Seite und weist seinen Freund zurecht: "Es geht hier um uns als Band und nicht nur um dich!"
"Lass ihn doch", versucht Casper, den Gitarrero zu beruhigen, "er macht gerade "ne heftige Zeit durch!"
"Ich weiß! Trotzdem! Er kann uns als Band nicht außen vor lassen!"
Linus winkt kurz in die Runde: "Hallo? Ich bin im Raum?! Könnt ihr wenigstens so tun, als wäre ich hier?"
Nur Bassist Carl scheint es mit der Planung nicht eilig zu haben: "Gib ihm halt ein bisschen Zeit."
"Die haben wir nicht!" Casper steht jetzt auf und entscheidet: "Also lass dir was einfallen, Linus! Entweder, du bist als Percussionist oder so dabei oder du bist raus."
Linus glaubt noch den Nachhall von Caspers Stimme zu hören: "Ich bin Künstler! Ich brauche meinen Freiraum! Ich kann so nicht arbeiten! Druck blockiert meine Kreativität!"
Doch es ist bloß die Stimme in Linus Kopf, die seine eigenen Gedanken laut herausruft.
Was tun?
Als Schlagzeuger plötzlich Percussionist zu sein gefällt ihm gar nicht, obwohl er Djemben, Orff-Instrumente und Bonjos mag.
Welche andere Wahl hätte er? Die Jungs sind sein – ja, was? Zu Hause? Seine Gang? Sein Metier?
Alles Bullshit.
"Okay, wir satteln um!" beschließt er. "Aber ich rolle nicht im Rollstuhl auf die Bühne, kapiert?"
"Glaub nicht, dass wir dich tragen!" bestimmt Carl.
Mit den Worten "Ich muss nachdenken" verabschiedet sich Linus aus dem Probenraum.
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Komm schon, Idee.
BÄNG!
Dunkel. Zuschauer pfeifen. Applaus. Jubeln. Die Ankündigung der Band.
Doch das Spotlight bleibt aus. Bunte, neonfarbene Röhren erhellen den Raum und rollern an Linus" Rollstuhl befestigt auf die Bühne.
Schwarzlicht goes Rockshow. Und das mit einer Percussion-Begleitung, deren Leidenschaft vor Taktgefühl in einem Stroboskop-Geflacker auleuchtet.