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Online-Kurzgeschichten
Lesezeit: etwa 4 Minuten
von
Carolin S.

Das Glück der Erde

Schwindel. Die Sonne sticht auf meine Kopfhaut und lässt Blitze auf meiner Netzhaut aufflackern. Gerade kann ich mich noch in Sicherheit bringen, bevor ich zwischen den Hufen der beiden Ponys lande. Sie kämpfen seit gerade einmal zehn Sekunden gegeneinander, doch ein Tritt ist ein Tritt und tut verdammt weh. Ich brülle die Ponys an, doch sie reagieren nicht. Also rette ich mich wie ein abgeworfener Rodeo-Reiter auf die andere Seite des Gatters und kann dem ausbrechenden Tränenstrom nicht Stand halten.
Ende. Sense. Nix nicht mehr.
Dabei ist das Leben hier oben in Norddeutschland so fantastisch. Wiese, Wald, Feld, Luft. Meine Koje liegt 15 Meter Luftlinie von den Pferdeställen entfernt, die Reitstunden und Kost sowie Logis sind umsonst und Ställe misten, ausreiten und Kinder an der Longe unterrichten gehört zu meiner täglichen Arbeit. Ich erfülle mir gerade einen Mädchentraum mit meinen heißgeliebten Vierbeinern in allen erdenklichen Größen.
Wie kann ich da bitteschön plötzlich Angst vor Pferden haben? Oder viel wichtiger: Wie werde ich diese panische Angst wieder los?
Es ist keine Laune und auch kein Moment-Zustand. Es ist ein zermürbender Fakt, der sich schon seit ein paar Tagen einschleicht. Und ich kann nichts dagegen tun.
Die traurige Tatsache, dass ich das Praktikum abbrechen muss, teile ich meiner Chefin ein paar Stunden später mit. Am nächsten Tag trete ich die Heimreise an.
Zu viel Nachdenken blockiert. Manchmal kann es aber auch sehr nützlich sein. So wie jetzt.
Ich schaue aus dem Zugfenster und beobachte die Windräder, die auf den Feldern und Wiesen vorbeiziehen.
Wann, wie und wo begann meine persönliche Pferdegeschichte?
Mit vier Jahren saß ich das erste Mal auf einem Pferderücken, auf dem Weihnachtsmarkt beim Ponyreiten. Mein Pony hatte sich losgerissen und wir standen nun frei in der Manege. Ich hatte panisch Angst, weil ich befürchtete, dass das Pony mit mir über die Bande springen und durch die Innenstadt rennen könnte.
In einer Mischung aus Faszination, übermäßigem Respekt und Leidenschaft für diese anmutigen Wesen hatte ich mit sieben Jahren meine erste Reitstunde an der Longe und pflegte mein Hobby jeden Freitag nach der Schule. Westernfilme, Steckenpferde, Barbie-Pferde und Wendy-Comics ergänzten mein Glück, konnten aber das Hochgefühl des tatsächlichen Reitens nicht ersetzen. Während meines Studiums in Berlin erinnerten lediglich die Kutschen vor dem Brandenburger Tor und gelegentliche Pferdeäppel-Haufen auf dem Straßenasphalt an meine Vierbeiner-Freunde, und so war ich heilfroh, nach meinem Studium zurück auf"s Land ziehen und wieder reiten zu können. Doch ich wollte mehr.
Auf der Suche nach einem ausgedehnte Reiterferien-Urlaub stieß ich auf die Annonce für ein Praktikum in Norddeutschland auf einem Ponyhof.
Und jetzt? Ein Leben ohne Pferde?
Unmöglich!
Abstand?
Wahrscheinlich.
Ein Pony zum Spazieren gehen?
Ich lehne mich in meinem Zugsitz zurück, schließe die Augen und atme tief durch.
Mein Plan ist kein Plan. Und das fühlt sich gerade verdammt gut an.
Ich habe nichts verloren und kann nochmal neu anfangen. Wo, wie und wann ich will.
Und vielleicht tausche ich diesmal den von mir gewohnten, englischen Reitstil gegen einen Westernsattel.